Kapitel 1.3
Wonach wir streben
Unsere Vision für eine offene, gerechte und inklusive Gesellschaft
Die OKF DE setzt sich dafür ein, dass unsere Demokratie gestärkt, das gesellschaftliche Miteinander gefördert wird und sich staatliches und gesellschaftliches Handeln am Gemeinwohl orientieren. Wir streben nach einer offenen, inklusiven und gerechten Gesellschaft. Digitale Technologien können uns helfen, diese Ziele zu erreichen, sofern sie aktiv von uns allen gestaltet werden. Wir verstehen uns als Teil einer aktiven Zivilgesellschaft, die den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer offenen Wissensgesellschaft gestaltet und vorantreibt. Wir stärken und fördern die Mündigkeit (Selbstbestimmung und Eigenverantwortung im Sinne der Aufklärung) und Selbstwirksamkeit von Menschen, die Teil der Zivilgesellschaft sind. Dabei fördern wir den freien Zugang zu Informationen und die Aneignung digitaler Kompetenzen, damit Menschen informierte Entscheidungen treffen und sich aktiv in soziale, gesellschaftliche und demokratische Prozesse einbringen und diese gestalten können.
Zu den Grundvoraussetzungen für eine offene, inklusive und gerechte Gesellschaft gehören folgende Bausteine, die gleichermaßen die Schwerpunkte unserer Arbeit darstellen:
! Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte
ein demokratisch verfasster Rechtsstaat, der Grundrechte wie Informations-, Meinungs-, Versammlungs-, und Pressefreiheit sowie demokratische Teilhabe garantiert;
! Transparenz und Rechenschaft
öffentliche Institutionen in Politik und Verwaltung, die Transparenz herstellen indem sie die Öffentlichkeit proaktiv über ihr Handeln informieren und Rechenschaft ablegen;
! Zugang und Teilhabe
freier Zugang zu Bildung und Wissen für alle Menschen damit sie informierte Entscheidungen treffen und sich aktiv an sozialen und politischen Prozessen beteiligen können;
! Digitale Kompetenz
einen selbstbestimmten und aufgeklärten Umgang mit digitalen Technologien, Medien, Informationen und Wissen;
! Öffentliche Kontrolle
eine aktive Zivilgesellschaft und unabhängige Medien, die das Handeln von Politik, Verwaltung und Wirtschaft kritisch beobachten, um auf Missstände hinzuweisen und Machtmissbrauch und Korruption aufzudecken.
Wir wollen die politische Agenda rund um unsere Themen mit Projekten und Beispielen aus der Praxis bereichern. Oftmals nutzen wir die Erfahrungen aus der Praxis als Argumente unserer Advocacy-Arbeit. Viele dieser Beispiele stammen aus der Arbeit von und mit Ehrenamtlichen (z.B. OParl, kleineAnfragen). Wir arbeiten häufig zusammen mit mehr oder weniger festen Netzwerken von Freiwilligen: Bei Code for Germany steht das ehrenamtliche Engagement im Mittelpunkt. Aber ehrenamtliches Engagement ist ein wichtiger Teil all unserer Programme: Bei FragDenStaat, Jugend hackt, Prototype Fund und den Bildungsprojekten mit dem Bündnis Freie Bildung leisten Ehrenamtliche einen wichtigen Teil.
2020 war ein höchst digitalpolitisches Jahr
Nach dem im Dezember 2019 die Eckpunkte für eine Datenstrategie der Bundesregierung vorgelegt wurden, fand 2020 ein groß angelegter Konsultationsprozess mit Expert:innen sowie der Zivilgesellschaft statt, um die Datenstrategie zu erarbeiten. Dieser Prozess erstreckte sich über das gesamte Jahr; die Datenstrategie wurde dann im Januar 2021 vom Bundeskabinett beschlossen. Im Partizipationsprozess beteiligte sich die OKF DE ausführlich und mahnte insbesondere die fehlenden Standards in der Bereitstellung von Daten an. Wenn Datensätze in unterschiedlichen Formaten veröffentlicht werden, fließt viel Energie in die Zusammenführung. Hier sollte die Bundesregierung progressiv vorangehen und gemeinsam mit den Softwareunternehmen und Datennutzer:innen (aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft) Standards erarbeiten oder bereits existierende internationale Standards umsetzen. Ein gutes Beispiel liefert der OParl-Standard für Ratsinformationssysteme, welcher von der Zivilgesellschaft entwickelt und von der Wirtschaft angenommen wurde. Die digitale Zivilgesellschaft muss in die Entscheidungsfindungen einbezogen werden.
Die Civic-Tech-Community, darunter auch die OKF DE, und viele andere engagierte Bürger:innen haben im März den WirVsVirus-Hackathon ins Leben gerufen, um zusammen an Ideen für erste Lösungsansätze zu arbeiten; die Bundesregierung hat sich als Schirrmherrin der Initiative angeschlossen und ihr damit eine große Aufmerksamkeit zukommen lassen. In der Krisensituation sind insbesondere digitale Anwendungen in der Lage, Menschen zu vernetzen, die sich nicht treffen können, Solidarität trotz eingeschränktem öffentlichen Lebens zu schaffen und notwendige Hilfeleistungen an die entsprechenden Zielgruppen zu bringen. Hackathons können ein gutes Format sein, um in kurzer Zeit Menschen zu vernetzen, Ideen zu generieren (und diese in ersten Prototypen umzusetzen) sowie zur Kompetenzerhöhung der Teilnehmenden dienen. Die Euphorie über und Fokussierung auf die Entwicklung von Innovation aus dem Hackathon hat aus unserer Sicht allerdings einen Tunnelblick verursacht. Bereits bestehende Formate und erprobte Lösungen - besonders im kommunalen Bereich - wurden mehrheitlich ignoriert. Ernesto Ruge, der sich ehrenamtlich im Code for Germany Netzwerk engagiert, machte im Blogbeitrag “Open Data. Ein bißchen Prototype und dann?” auf dieses Problem aufmerksam und wirbt dafür, langfristige Lösungen für erprobte Anwendungen zu erarbeiten. Als Reaktion auf den großen Hackathon veröffentlicht die ehrenamtliche Community im Code for Germany Netzwerk den Leitfaden “How to Hackathon”: Was Hackathons nicht leisten können, ist eine nachhaltige und krisensichere digitale Infrastruktur sowie die dazugehörigen Kompetenzen aufzubauen. Fertige Lösungen für ganzheitliche Abhilfe lassen sich an einem Wochenende nicht schaffen. Es bleibt ein wichtiger Arbeitsauftrag für die OKF DE, das Bewusstsein für ein nachhaltiges System der Ko-Kreation zwischen Verwaltung und digitaler Zivilgesellschaft zu stärken.
Zu Beginn der Coronakrise wird schnell klar: Von den Umstellungen zur Eindämmung von Covid-19 haben bislang vor allem die großen Technologiekonzerne profitiert. Die Verlagerung des Lebens in die digitale Sphäre beschert ihnen größere Marktanteile, Nutzungszahlen und Datensammlungen. Um in Krisenzeiten nicht von ihnen abhängig zu sein, braucht es ein aktives digitales Ökosystem, das echte Wahlmöglichkeiten bietet. In Krisensituationen zeigt sich die Bedeutung von unabhängigen und belastbaren digitalen Infrastrukturen, die es Menschen, Organisationen und Firmen ermöglichen, ihren alltäglichen Aufgaben nachzukommen. Die OKF schließt sich daher dem Aufruf der Initiative Digitale Zivilgesellschaft an und fordert: „Der Aufbau eines gemeinwohlorientierten digitalen Ökosystems muss endlich politische Priorität bekommen!“
Vor dem Hintergrund geschlossener Schulen und Bildungsinstitutionen stand die Bildungspolitik im digitalen Zeitalter weit oben auf der politischen Agenda. Neben dem Aufbau notwendiger Infrastrukturen ist die Etablierung und Stärkung von Open Education - offenen Bildungsmaterialien, -initiativen und Technologien - aus unserer Sicht eine wichtige Aufgabe. Denn nur so gelingen dezentrale und selbstgesteuerte Lernszenarien, die den Herausforderungen einer zeitgemäßen und offenen Bildung gerecht werden. Was es dazu braucht, haben wir in Empfehlungen für Hardware im Bildungsbereich sowie in der OER-Strategie skizziert, die wir gemeinsam mit dem Bündnis Freie Bildung entwickelt haben. Mit dem Aufbau der Suchmaschine für offene Bildungsmaterialien - WirLernenOnline.de - wurde bereits ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gegangen. Andererseits entstehen mit mundo.schule Parallel-Strukturen. Hier ist es wichtig, Plattformen zu verbinden und offene Schnittstellen zu schaffen. Wir möchten gemeinsam mit dem BMBF an der im Koalitionsvertrag angekündigten Strategie arbeiten und fordern einen offenen Beteiligungsprozess, der die Vielfalt an Akteuren und Akteurinnen der Bildungslandschaft mit einbezieht.
Im Sommer 2020 legte die Bundesregierung den Zwischenbericht zur Umsetzung des zweiten Nationalen Aktionsplans der Open Government Partnership vor. Der Nationale Aktionsplan ist ein Kernstück für die Offene Regierungsführung, zu der sich Deutschland im Rahmen seiner Mitgliedschaft bei der internationalen Open Government Partnership verpflichtet hat. Aus unserer Sicht geht es etwas voran mit Open Government in Deutschland. Dies haben wir in einer Stellungnahme veröffentlicht. Nur vorsichtige Schritte in der Jugendbeteiligung, ein Open Data Gesetz mit Reformbedarf und eine Beteiligungsplattform für Gesetze, deren Umsetzung nicht absehbar ist. Das größte Manko ist aber, dass es weiterhin kein großes Projekt gibt, das die Bemühungen der Bundesregierung unterstreicht und die Öffentlichkeit für die Vorhaben im Rahmen der Initiative begeistern kann. Im kommenden Nationalen Aktionsplan sollte die Regierung daher ambitioniertere Selbstverpflichtungen einbeziehen. Dazu gehören: 1) die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem Transparenzgesetz mit Open Data als Kernelement, 2) die Einführung eines öffentlich kostenfrei zugänglichen Transparenzregisters (beneficial ownership register), wie es in der Mehrheit der Mitglieder der Open Government Partnership bereits üblich ist, 3) die Einführung eines umfängliches Lobbyregisters, 4) die Selbstverpflichtung, bei öffentlichen Softwareprojekten grundsätzlich Open Source festzuschreiben (“Public Money, Public Code”) und 5) die Ausschreibung von umfangreichen Förderprogrammen für digitale Open-Source-Infrastruktur.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft stellte ihre Amtszeit unter das Leitmotiv der digitalen Souveränität. Mit diesem Buzzword, was verstanden werden sollte als Emanzipation von außereuropäischen kommerziellen Tech-Giganten, wurden auch die Themen Open Data und Open Source Technologien diskutiert. Mit Open Source Software können sich staatliche Institutionen besser vor Sicherheitslücken und Angriffen schützen, da sie ihre IT-Systeme selbst weiterentwickeln und warten können. Die Expertise der OKF DE, besonders des Programms Prototype Fund, der Open Source Software Projekte fördert, war daher stark nachgefragt.
Auch trotz der Coronapandemie blieb das Thema Klima & Nachhaltigkeit auf der Agenda. Mit unserer Beteiligung an der Bits&Bäume Bewegung und der Umsetzung der Umweltdatenschule haben wir auch in diesem Jahr aktiv an der Schnittstelle zwischen digitalem Wandel und Nachhaltigkeit gearbeitet. Die EU mit dem großen Förderprogramm “EU Green Deal” einen wichtigen Impuls für die nächsten Jahre, Technologie und Umwelt stärker zusammen zu betrachten; auch viele Stiftungen, Initiativen und Forschungsinstitutionen griffen die “digitale Nachhaltigkeit” zunehmend auf. Die OKF DE hat sich in diesem Themenfeld mit dem Projekt Code for Climate sowie mit Projektanträgen und Publikationen weiter verankert.
Unsere Forderungen
1 Zivilgesellschaftliche Expertise nutzen und Digitales Ehrenamt fördern
Eine aktive, vielfältige und stachlige Zivilgesellschaft ist das Lebenselixier der Demokratie. Zivilgesellschaftliche Akteur:innen, ob haupt- oder ehrenamtlich, sollten in Meinungs- und Entscheidungsprozessen stärker berücksichtigt werden. Ehrenamtliche Strukturen brauchen mehr Anerkennung.
2 Staatliches Handeln transparent machen: Mehr Informationsfreiheit und Rechtsanspruch auf Offene Daten erwirken
Es braucht eine Offene und transparente Regierungsführung, um das Vertrauen zwischen Staat und Bürger:innen zu stärken.
3 Nachhaltige Strukturen für eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik und souveräne Tech-Infrastruktur schaffen
Digitale Basistechnologie zählt zur Daseinsvorsorge, die allen zur Verfügung stehen muss. Hier braucht es langfristige und verlässliche Infrastruktur.
4 Bildung Offen gestalten: Partizipative Bildungsstrukturen durchsetzen und lebenslanges Lernen ermöglichen
Jede Person, ob jung oder alt, muss befähigt werden, sich mündig und souverän in der digitalen Welt zu bewegen und ihre Mechanismen zu verstehen.